Diskutierten über die finanzielle Lage bei Violetta: Dolly Tembaak (von der Beratungsstelle, von links), Florian Beck (FDP), Paula Heuer (Linke), Uwe Dorendorf (CDU), Miriam Staudte (Grüne), Gregor Szorec (SPD) und Moderatorin Ingrid Holst, die Gleichstellungsbeauftragte der Samtgemeinde Lüchow. Aufn.: K.-F. Kassel
27.04.2022 – VON KARL-FRIEDRICH KASSEL
Dannenberg. Vor 29 Jahren wurde in Dannenberg die Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen und Mädchen „Violetta“ gegründet. Seitdem hat sich die Tätigkeit ausgeweitet. Unter anderem kam die sexualisierte Gewalt gegen Jungen ins Blickfeld. Violetta berät Betroffene und ihr Umfeld und versucht, im Vorfeld Aufklärung zu schaffen, etwa in Kindergärten, Schulen und bei Sporttrainern. Nicht geändert hat sich seit der Gründung die prekäre Finanzlage dieser Beratungsstelle, die einzige weit und breit. „Hochqualifiziert und chronisch unterfinanziert“ – darüber wollten die Violetta-Mitarbeiterinnen am Dienstag im Dannenberger Ostbahnhof mit Kandidaten von politischen Parteien zur Landtagswahl reden.
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Diejenigen, die erst noch in den Landtag wollen – Gregor Szorec (SPD), Florian Beck (FDP) und Paula Heuer (Linke) – waren überrascht von der finanziellen Lage Violettas. Eigentlich hatten sie vermutet, dass mit der Wichtigkeit des Themas auch die Notwendigkeit der Finanzierung anerkannt wäre. Schließlich sei die Beratungsstelle in einem Umkreis von 100 Kilometern tätig, wie Szorec erklärte. Es sei eine einmalige Einrichtung. Etwas Ähnliches gebe es sehr selten in ländlichen Gegenden. Miriam Staudte (Grüne) forderte die Öffentlichkeit in der Region dazu auf, sich bewusst zu werden, welchen Schatz sie mit Violetta beherberge.
Skandale sorgen nur für Empörung
Diese Wertschätzung drückt sich bisher nicht in der Finanzierung der Beratungsstelle aus. Daran haben auch Skandale wie in Lügde, an der Odenwaldschule oder am Canisiuskolleg geändert. Der sexuelle Missbrauch in Kirchen sorgt zwar für öffentliche Empörung und Austrittswellen, nicht aber für eine sichere Finanzierung einer Stelle, die den Opfern hilft und die durch Aufklärung überhaupt erst dafür sorgt, dass Missbrauch erkannt wird.
Der Landkreis Lüchow-Dannenberg und die drei Samtgemeinden geben zwar jährliche Zuschüsse zur Finanzierung von Violetta. Die Nachbarkreise bezahlen jedoch nichts, obwohl die Beratung auch dort stattfindet. Weder Uelzen noch Lüneburg, weder Salzwedel noch Parchim sehen sich veranlasst, sich an der Finanzierung der Tätigkeit auch in ihren Kreisen zu beteiligen. Das Land Niedersachsen gibt 65 000 Euro nach der einen Richtlinie und 10 000 Euro nach einer anderen. Aber keine ist speziell für Beratungsstellen gedacht. Die kommen in diesen Rechtsgrundlagen nur als Anhängsel von Frauenhäusern vor, beklagte sich Dolly Tembaak von Violetta. Die Vorschriften passten nicht zu der Tätigkeit der Beratung.
Es fehlen 120 000 Euro jährlich
Alle Förderung der öffentlichen Hand hilft nicht, eine Finanzierungslücke von 120 000 Euro jährlich zu schließen. Das gelingt bisher noch durch viele Anträge, etwa bei der ARD-Fernsehlotterie oder bei Aktion Mensch. Die beiden Landtagsabgeordneten Uwe Dorendorf (CDU) und Miriam Staudte (Grüne) vermieden es, wohlfeile Versprechungen zu machen. Im Gegenteil, beide beschrieben den komplizierten Weg eines Anliegens im politischen Betrieb bis zu einer Entscheidung. Am Ende scheitert nach Dorendorfs Beschreibung vieles an den Beamten in den Ministerien.
An Stelle von finanziellen Zusagen machte Dorendorf den Vorschlag, dass nach der Landtagswahl jede Fraktion im zuständigen Ausschuss eine Person benennt, die sich speziell um das Thema sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen kümmert, unter anderem durch regelmäßige Treffen mit Betroffenen und Einrichtungen wie Violetta.
Mehrere Forderungen der Violetta-Mitarbeiterinnen erhielten wechselnde Unterstützung auf dem Podium und unter den Zuhörerinnen. Bisher sind die öffentlichen Zuschüsse freiwillige Leistungen und damit eng begrenzt. Das sollte sich ändern, sie sollten eine gesetzliche Aufgabe werden. Eine spezielle Richtlinie sollte der Beratung und Prävention gerecht werden. Tembaak forderte außerdem eine Landesbeauftragte, die das Thema im öffentlichen Bewusstsein hält. fk